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Die selbsternannten Gotteskrieger Jesus Christus



Nemo ist Satan nahe und braucht Jesus

So was würden Christen natürlich nie aussprechen, geschweige den schreiben. Wenn man den Artikel vom Halleluja Kolumnisten im Onlinemedium Nau liest, könnte man das aber durchaus hineininterpretieren. Ein selbsternannter Profi-Christ sieht sich auf LinkedIn sogar dazu genötigt, Nemos Songtext umzuschreiben und ihn damit zum Glauben an Jesus zu bekehren. Nichts liegt mir ferner, als den beiden böse Absichten zu unterstellen. Ich nehme diese zwei Beispiele einfach als Anlass, über das grosse Sendungsbewusstsein von Profi-Christen, und was es in mir auslöst, zu schreiben. 

Gott hat Covid und Satan besiegt

Das war die Aussage vom amerikanischen Wohlstandevangelisten Kenneth Copland. Er erhebt sich, seine Sicht der Dinge und seine Auffassung vom Glauben über alle andere. Für mich ist das an Einbildung und Überheblichkeit kaum zu überbieten. Wie viele Menschen von seiner Church lassen sich wegen seiner Aussagen nicht impfen? Wer ist deswegen gestorben? (Stopp, Impfen und alles darum herum ist hier nicht das Thema). Solche und ähnliche Verführer wie Bruder Copland meinen, berufen zu sein, uns zu übermitteln, was Gott ihnen (und nur ihnen) ins Ohr geflüstert hat. Was hier auf der grossen Bühne, in unseren Megachurches, bei Celebrations und anderen Events abgeht, passiert auch in allen Arten christlichen Zusammenkünften, teilweise auch in unserem persönlichen (frommen) Umfeld.

Ich sehe den Menschen nicht den Glauben

Egal ob ich mit einem Satanisten oder ICF-Prediger zusammensitze, mich interessieren die Menschen und ihr Leben. Was sie glauben, ist für mich nicht wichtig. Ich will wissen, wie ihr Leben aussieht, wie gestalten sie ihre Freizeit? Ist eine Stärke oder Gabe bei ihnen ausgeprägter als bei anderen? Wenn sie im Verlauf auf ihren Glauben zu sprechen kommen, prima. Ich bin gespannt, wie ein satanischer Gottesdienst aussieht, oder wie sich die feurige Predigt konkret im Alltag des Seniorpastors auswirkt. Eine Begegnung auf Augenhöhe und im gegenseitigen Respekt ist für mich die einzig wahre Grundlage

Mir steht es schlicht und einfach nicht zu, über andere Menschen zu werten, sie zu verurteilen und zu verdammen. Egal was sie glauben, mit wem sie Geschlechtsverkehr haben, wie ernst sie die Bibel nehmen, ich habe das zu akzeptieren und respektieren. Solange mein Gegenüber meine Grenzen respektiert, habe ich kein Problem. 

Doch warum halten sich einige Christen nicht daran? Was treibt sie dazu, ihr ganzes Umfeld bekehren zu müssen? Warum ist es ihnen ein Anliegen zu jedem wichtigen und unwichtigen Ereignis, Gottes (bzw. ihre) Sicht allen aufzudrängen? Was treibt sie dazu, queere Menschen zu korrigieren, richten und zu verdammen? Ist eine Koexistenz von Islam und Christentum in unserem Land nicht möglich? Ich träume davon, dass ein schwules Paar einen ICF leitet. Was genau treibt diese Jünger:innen dazu, ihre Glaubensauffassung (fast bis) zum Tod verteidigen? Wie kommen sie zum Standpunkt, ihre Sicht von Jesus und der Bibel in den Medien, auf sozialen Plattformen und in persönlichen Begegnungen vor den Latz zu knallen?

Die Bibel ist die Lizenz zum Töten

Die Bibel ist das Fundament des christlichen Glaubens. Für konservative bibeltreue Christen ist sie 1:1 das Wort Gottes an seine Gläubige. Sie ist Buchstabe für Buchstabe gültig bis in alle Ewigkeit. Ihre Aussagen sind 1:1 übertragbar in unser heutiges Leben vom 21. Jahrhundert. Sein Wort ist Gesetz! Kein Mensch kann von sich sagen, dass seine Art die richtige ist. Trotzdem wird die Bibel immer wieder als Streitaxt missbraucht, um seinem Gegenüber und sein Leben in Stücke zu schlagen.

In unserer Welt ist es für alle schwierig, einen Weg zu finden. Egal welche ethnischen und moralischen Überzeugungen wir haben, sie können heute akzeptiert und morgen verdammt werden. Da bietet die Bibel und Gottes (überzeugte) Diener:innen einen einfachen Weg, um seinen Leben eine Richtung zu geben. Gottes Wort hat auf alle Fragen eine Antwort. Sie dient als moralischer Kompass, dem bibeltreue Christen folgen müssen und alle anderen folgen sollten.

Im ICF wird die Bibel als Grund verwendet, um queere Menschen von der Leitung auszuschliessen. Auch wenn das darin nicht so ganz klar und eindeutig steht, wie sie es gerne hätten, bezieht sich die Leitung auf diese paar kontrovers diskutierten Bibelstellen. Dass es auch anders geht, zeigt dieser Beitrag von Worthaus oder der Entscheid der internationalen Methodistischen Kirche, homosexuelle Menschen, die sich outen, nicht vom Dienst auszuschliessen. (Im krassen Gegensatz dazu steht die Aussage vom Seniorpastor des ICF Zürich, welcher eine sexuelle Veranlagung als blossen Lifestyle bezeichnet, für den man sich entscheiden kann).

Ein frommes Ehepaar aus meinem Umfeld hat sich über ein paar, welches sich scheiden liess, abschätzig und verurteilend geäussert. Das sei gemäss der Bibel verboten. Eine Transfrau wurde von ihrer Freikirche vor die Wahl gestellt: Entweder du lebst in dem von Gott dir zugewiesenen Geschlecht oder du musst die Gemeinde verlassen.

Meistens sind es nicht Theologen, die mit der Bibel als Henkerbeil argumentieren. Oft sind es Menschen, die ein paar Bibelverse nehmen und dazu eine universelle Antwort zimmern, die genau für mich in meiner jetzigen Situation gelten soll. Vor ca. 30 Jahren durchlebte ich eine schwere Zeit und war depressiv. Darum suchte ich Hilfe bei einem älteren, erfahrenen Christen. Der schob meinen damaligen schweren psychischen Probleme auf den Teufel ab und knallte mir die Bibelstelle mit dem brüllenden Löwen vors Gesicht. Ganz nach dem Motto, jetzt glaub das endlich, sonst wirst du nicht geheilt. 

Der Glaube darf nicht versagen

Mein Gott hat mich mit einem guten Immunsystem gesegnet, das schützt mich vor dem Corona-Virus. Ist das ein Versuch, mit dem christlichen Glauben gegen die Welt und ihre Gefahren anzutreten oder einfach nur eine Verblendung? Ganz so nebenbei, auch das beste Immunsystem schützt uns nicht vor Infektionen (egal welcher Art).

Eine Frau kam heim, ihr Haus stand in Flammen und ihre Familie ist am Verbrennen. Ihre Aussage war: "Gott macht keine Fehler." Gut, wenn man an die Bibel glaubt, stimmt das. Heisst es aber, dass Gott dieses Unglück bewusst zugelassen hat? Wollte er damit der Frau etwas sagen? Kann das nicht einfach nur eine besonders schmerzhafte persönliche Tragödie sein?

Die Frage, warum lässt Gott das zu, ist immer noch brandaktuell und aus meiner Sicht mehr als berechtigt. Warum meinen viele Christen, auf alles eine Antwort haben zu müssen? Ganz ehrlich, ist die Bibelstelle, dass Gott uns nicht mehr auflädt, als das Kreuz, was wir zu tragen haben, nicht völlig deplatziert? Auch wenn sie so nicht in der Bibel steht, wird diese Aussage in der Seelsorge immer wieder verwendet. Ich kenne einige gläubige Christen, die daran zerbrochen sind.

Nun komme ich wieder zu Nemo zurück. Ein ehemaliger Politiker hat im Facebook ein Bild von den Künstlerinnen aus Irland und Israel gegenübergestellt und meinte dazu, dass er nicht lange überlegen müsse. Natürlich stiegen seine sendungsbewussten Follower:innen sofort darauf ein und verwiesen auf die Bibel, Gott, die Christenverfolgung und den Teufel. Auch Nemo bekam etwas davon ab. Ich brachte ins Spiel, dass es möglicherweise nur eine Provokation, das Spiel mit Klischees ist und keine Verbindung zum Okkultismus und Antichristen habe. Eigentlich wollte ich nur vermitteln und einen Konsens schaffen. Doch ein übereifriger Follower sah sich dazu berufen, mich aufzuklären, dass der Teufel überall sei. Als ich ihn herausforderte, wurde er aggressiv und meinte indirekt, dass er im Recht sei, da er im Namen von Jesus argumentiere.

Mich schockiert die immer offenere Ablehnung von Menschen, die die eigene Auffassung vom Glauben und der eigenen Interpretation der Bibel nicht entsprechen. Sie verhalten sich meiner Meinung überheblich, rechthaberisch und teilweise menschenverachtend. Wie sonst betet jemand für seine Mit- und Nebenmenschen. In dieser Welt vom glasklaren Evangelium und der Bibel als Gottes allmächtigem Wort und unverrückbaren Gesetz sehe ich keinen Platz mehr für meine Zweifel und Fragen im evangelikalen (freikirchlichen) Setting. Darum erstaunt es mich auch nicht, dass der Seniorpastor vom ICF Zürich den Stinkefinger all denen gezeigt hat, die wagen, Fragen zu stellen und Kritik anzubringen. Daran ändert m.M. auch nichts, dass er sich im Nachhinein dafür entschuldigt hat. Er hat sich selber entschuldigt

Warum können nicht mehr Menschen offen sagen, dass es Momente gab, wo sie nicht mehr glauben konnten oder sogar aufgehört haben, zu glauben. Stattdessen wird krampfhaft versucht, jeder Sekunden im eigenen Leben, einen tieferen, christlichen Sinn zu geben. Auf den christlichen Portalen wie Livenet & Co reiht sich Erfolgsgeschichte an Erfolgsgeschichte. Wenn jemand gefallen ist, nur damit er danach noch grösser aufersteht.

Ich wünsche mir echtes Leben, mit allen Höhen und Tiefen!

Ich verbitte mir, die Interpretation, dass ich diesen Beitrag aus einer persönlichen, innerlichen, seelischen Verletzung heraus schreibe. Die Argumentation von einigen Christen mit überhöhtem Sendungsbewusstsein empfinde ich jedoch übergriffig und als eine Grenzüberschreitung. Das ICF Movement ist nicht mein persönliches Feindbild. Es steht stellvertretend für viele andere evangelikal geprägten Freikirchen.


Danke Pexles für das kostenlose Bild