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    Sexueller Missbrauch, Gewalt und Grenzüberschreitungen allgemein und speziell als Mann.

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    Wie gehen wir und wie unsere Gesellschaft mit psychischen Krankheiten um? Was heissen chronische Schmerzen?

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    Früher war für mich Jesus die Antwort für die Welt von heute. Warum es jetzt nicht mehr so ist, schreibe ich hier

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Die selbsternannten Gotteskrieger Jesus Christus



Nemo ist Satan nahe und braucht Jesus

So was würden Christen natürlich nie aussprechen, geschweige den schreiben. Wenn man den Artikel vom Halleluja Kolumnisten im Onlinemedium Nau liest, könnte man das aber durchaus hineininterpretieren. Ein selbsternannter Profi-Christ sieht sich auf LinkedIn sogar dazu genötigt, Nemos Songtext umzuschreiben und ihn damit zum Glauben an Jesus zu bekehren. Nichts liegt mir ferner, als den beiden böse Absichten zu unterstellen. Ich nehme diese zwei Beispiele einfach als Anlass, über das grosse Sendungsbewusstsein von Profi-Christen, und was es in mir auslöst, zu schreiben. 

Gott hat Covid und Satan besiegt

Das war die Aussage vom amerikanischen Wohlstandevangelisten Kenneth Copland. Er erhebt sich, seine Sicht der Dinge und seine Auffassung vom Glauben über alle andere. Für mich ist das an Einbildung und Überheblichkeit kaum zu überbieten. Wie viele Menschen von seiner Church lassen sich wegen seiner Aussagen nicht impfen? Wer ist deswegen gestorben? (Stopp, Impfen und alles darum herum ist hier nicht das Thema). Solche und ähnliche Verführer wie Bruder Copland meinen, berufen zu sein, uns zu übermitteln, was Gott ihnen (und nur ihnen) ins Ohr geflüstert hat. Was hier auf der grossen Bühne, in unseren Megachurches, bei Celebrations und anderen Events abgeht, passiert auch in allen Arten christlichen Zusammenkünften, teilweise auch in unserem persönlichen (frommen) Umfeld.

Ich sehe den Menschen nicht den Glauben

Egal ob ich mit einem Satanisten oder ICF-Prediger zusammensitze, mich interessieren die Menschen und ihr Leben. Was sie glauben, ist für mich nicht wichtig. Ich will wissen, wie ihr Leben aussieht, wie gestalten sie ihre Freizeit? Ist eine Stärke oder Gabe bei ihnen ausgeprägter als bei anderen? Wenn sie im Verlauf auf ihren Glauben zu sprechen kommen, prima. Ich bin gespannt, wie ein satanischer Gottesdienst aussieht, oder wie sich die feurige Predigt konkret im Alltag des Seniorpastors auswirkt. Eine Begegnung auf Augenhöhe und im gegenseitigen Respekt ist für mich die einzig wahre Grundlage

Mir steht es schlicht und einfach nicht zu, über andere Menschen zu werten, sie zu verurteilen und zu verdammen. Egal was sie glauben, mit wem sie Geschlechtsverkehr haben, wie ernst sie die Bibel nehmen, ich habe das zu akzeptieren und respektieren. Solange mein Gegenüber meine Grenzen respektiert, habe ich kein Problem. 

Doch warum halten sich einige Christen nicht daran? Was treibt sie dazu, ihr ganzes Umfeld bekehren zu müssen? Warum ist es ihnen ein Anliegen zu jedem wichtigen und unwichtigen Ereignis, Gottes (bzw. ihre) Sicht allen aufzudrängen? Was treibt sie dazu, queere Menschen zu korrigieren, richten und zu verdammen? Ist eine Koexistenz von Islam und Christentum in unserem Land nicht möglich? Ich träume davon, dass ein schwules Paar einen ICF leitet. Was genau treibt diese Jünger:innen dazu, ihre Glaubensauffassung (fast bis) zum Tod verteidigen? Wie kommen sie zum Standpunkt, ihre Sicht von Jesus und der Bibel in den Medien, auf sozialen Plattformen und in persönlichen Begegnungen vor den Latz zu knallen?

Die Bibel ist die Lizenz zum Töten

Die Bibel ist das Fundament des christlichen Glaubens. Für konservative bibeltreue Christen ist sie 1:1 das Wort Gottes an seine Gläubige. Sie ist Buchstabe für Buchstabe gültig bis in alle Ewigkeit. Ihre Aussagen sind 1:1 übertragbar in unser heutiges Leben vom 21. Jahrhundert. Sein Wort ist Gesetz! Kein Mensch kann von sich sagen, dass seine Art die richtige ist. Trotzdem wird die Bibel immer wieder als Streitaxt missbraucht, um seinem Gegenüber und sein Leben in Stücke zu schlagen.

In unserer Welt ist es für alle schwierig, einen Weg zu finden. Egal welche ethnischen und moralischen Überzeugungen wir haben, sie können heute akzeptiert und morgen verdammt werden. Da bietet die Bibel und Gottes (überzeugte) Diener:innen einen einfachen Weg, um seinen Leben eine Richtung zu geben. Gottes Wort hat auf alle Fragen eine Antwort. Sie dient als moralischer Kompass, dem bibeltreue Christen folgen müssen und alle anderen folgen sollten.

Im ICF wird die Bibel als Grund verwendet, um queere Menschen von der Leitung auszuschliessen. Auch wenn das darin nicht so ganz klar und eindeutig steht, wie sie es gerne hätten, bezieht sich die Leitung auf diese paar kontrovers diskutierten Bibelstellen. Dass es auch anders geht, zeigt dieser Beitrag von Worthaus oder der Entscheid der internationalen Methodistischen Kirche, homosexuelle Menschen, die sich outen, nicht vom Dienst auszuschliessen. (Im krassen Gegensatz dazu steht die Aussage vom Seniorpastor des ICF Zürich, welcher eine sexuelle Veranlagung als blossen Lifestyle bezeichnet, für den man sich entscheiden kann).

Ein frommes Ehepaar aus meinem Umfeld hat sich über ein paar, welches sich scheiden liess, abschätzig und verurteilend geäussert. Das sei gemäss der Bibel verboten. Eine Transfrau wurde von ihrer Freikirche vor die Wahl gestellt: Entweder du lebst in dem von Gott dir zugewiesenen Geschlecht oder du musst die Gemeinde verlassen.

Meistens sind es nicht Theologen, die mit der Bibel als Henkerbeil argumentieren. Oft sind es Menschen, die ein paar Bibelverse nehmen und dazu eine universelle Antwort zimmern, die genau für mich in meiner jetzigen Situation gelten soll. Vor ca. 30 Jahren durchlebte ich eine schwere Zeit und war depressiv. Darum suchte ich Hilfe bei einem älteren, erfahrenen Christen. Der schob meinen damaligen schweren psychischen Probleme auf den Teufel ab und knallte mir die Bibelstelle mit dem brüllenden Löwen vors Gesicht. Ganz nach dem Motto, jetzt glaub das endlich, sonst wirst du nicht geheilt. 

Der Glaube darf nicht versagen

Mein Gott hat mich mit einem guten Immunsystem gesegnet, das schützt mich vor dem Corona-Virus. Ist das ein Versuch, mit dem christlichen Glauben gegen die Welt und ihre Gefahren anzutreten oder einfach nur eine Verblendung? Ganz so nebenbei, auch das beste Immunsystem schützt uns nicht vor Infektionen (egal welcher Art).

Eine Frau kam heim, ihr Haus stand in Flammen und ihre Familie ist am Verbrennen. Ihre Aussage war: "Gott macht keine Fehler." Gut, wenn man an die Bibel glaubt, stimmt das. Heisst es aber, dass Gott dieses Unglück bewusst zugelassen hat? Wollte er damit der Frau etwas sagen? Kann das nicht einfach nur eine besonders schmerzhafte persönliche Tragödie sein?

Die Frage, warum lässt Gott das zu, ist immer noch brandaktuell und aus meiner Sicht mehr als berechtigt. Warum meinen viele Christen, auf alles eine Antwort haben zu müssen? Ganz ehrlich, ist die Bibelstelle, dass Gott uns nicht mehr auflädt, als das Kreuz, was wir zu tragen haben, nicht völlig deplatziert? Auch wenn sie so nicht in der Bibel steht, wird diese Aussage in der Seelsorge immer wieder verwendet. Ich kenne einige gläubige Christen, die daran zerbrochen sind.

Nun komme ich wieder zu Nemo zurück. Ein ehemaliger Politiker hat im Facebook ein Bild von den Künstlerinnen aus Irland und Israel gegenübergestellt und meinte dazu, dass er nicht lange überlegen müsse. Natürlich stiegen seine sendungsbewussten Follower:innen sofort darauf ein und verwiesen auf die Bibel, Gott, die Christenverfolgung und den Teufel. Auch Nemo bekam etwas davon ab. Ich brachte ins Spiel, dass es möglicherweise nur eine Provokation, das Spiel mit Klischees ist und keine Verbindung zum Okkultismus und Antichristen habe. Eigentlich wollte ich nur vermitteln und einen Konsens schaffen. Doch ein übereifriger Follower sah sich dazu berufen, mich aufzuklären, dass der Teufel überall sei. Als ich ihn herausforderte, wurde er aggressiv und meinte indirekt, dass er im Recht sei, da er im Namen von Jesus argumentiere.

Mich schockiert die immer offenere Ablehnung von Menschen, die die eigene Auffassung vom Glauben und der eigenen Interpretation der Bibel nicht entsprechen. Sie verhalten sich meiner Meinung überheblich, rechthaberisch und teilweise menschenverachtend. Wie sonst betet jemand für seine Mit- und Nebenmenschen. In dieser Welt vom glasklaren Evangelium und der Bibel als Gottes allmächtigem Wort und unverrückbaren Gesetz sehe ich keinen Platz mehr für meine Zweifel und Fragen im evangelikalen (freikirchlichen) Setting. Darum erstaunt es mich auch nicht, dass der Seniorpastor vom ICF Zürich den Stinkefinger all denen gezeigt hat, die wagen, Fragen zu stellen und Kritik anzubringen. Daran ändert m.M. auch nichts, dass er sich im Nachhinein dafür entschuldigt hat. Er hat sich selber entschuldigt

Warum können nicht mehr Menschen offen sagen, dass es Momente gab, wo sie nicht mehr glauben konnten oder sogar aufgehört haben, zu glauben. Stattdessen wird krampfhaft versucht, jeder Sekunden im eigenen Leben, einen tieferen, christlichen Sinn zu geben. Auf den christlichen Portalen wie Livenet & Co reiht sich Erfolgsgeschichte an Erfolgsgeschichte. Wenn jemand gefallen ist, nur damit er danach noch grösser aufersteht.

Ich wünsche mir echtes Leben, mit allen Höhen und Tiefen!

Ich verbitte mir, die Interpretation, dass ich diesen Beitrag aus einer persönlichen, innerlichen, seelischen Verletzung heraus schreibe. Die Argumentation von einigen Christen mit überhöhtem Sendungsbewusstsein empfinde ich jedoch übergriffig und als eine Grenzüberschreitung. Das ICF Movement ist nicht mein persönliches Feindbild. Es steht stellvertretend für viele andere evangelikal geprägten Freikirchen.


Danke Pexles für das kostenlose Bild

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Ich glaube an das Schlechte im Menschen


Was hat ein Jahr in und für die Kunden mit mir gemacht?

Am Anfang...

...war meine Freude, Menschen helfen zu können. Endlich konnte ich meine Fremdsprachenkenntnisse wieder einsetzen. Ich wollte den Kunden mit meinem Wissen dienen, und sie unterstützen, damit sie schneller an ihr Ziel gelangen. Als feinfühliger Mensch kann ich Menschen und Situationen gut einschätzen und darauf eingehen. Der Standardsatz: "Mein Gegenüber abholen, wo die Person gerade steht." war für mich Praxis und keine Theorie. Die ersten paar Monate ging das sehr gut. Ich war den Eindruck, angekommen zu sein und verspürte Freude an meinem Job.

Meine Hauptaufgabe...

...war, Menschen beim Ein-/Aus- und Umsteigen zu helfen. In den Zwischenzeiten beantwortete ich allgemeine Fragen, unterstützte die Menschen an den Automaten oder beim Gepäckeinstellen. Das war, ist und bleibt eine sehr dankbare und sinnvolle Tätigkeit.

Mit einer einzigen Ausnahme (eine Politikerin) waren meine direkten Kunden, die Menschen im Rollstuhl, nett aufgestellt, humorvoll und dankbar. Mit manchen bin ich per Du und öfters haben wir auch über Persönliches miteinander ausgetauscht.

Auch meine Arbeit in der Information war zu einem guten Teil befriedigend und erfüllend. Mein Highlight war, als ich einen Reisenden, der einen Schwächeanfall hatte, unterhakte und ihn zum anderen Bahnsteig begleitete, worauf mich seine Begleitung unbedingt umarmen wollte. Ich bin sonst überhaupt nicht der Berührungstyp und gehe grundsätzlich auf Abstand. Aber da merkte ich, dass es ihr eine Herzensangelegenheit war, liess ich es zu.

Regeln sind da...

...um gebrochen zu werden. An Orten, wo viele Menschen aufeinander treffen, braucht es Regeln, die ein gefahrloses Nebeneinander und ein entspanntes Miteinander ermöglichen. Wie im Strassenverkehr gefühlte 8 von 10 Velofahrer die Signale missachten, steigen im Bahnhof, in den Unterführungen und auf den Bahnsteigen 3 von 10 Personen nicht vom Kickboard, Rollbrett oder Velo. Der Vogel abgeschossen hat ein Mann, auf dem Fahrrad, ein Kind im Sitz, der durch wartende Menschen fuhr, währenddessen ein Schnellzug passierte. Als ich ihn auf die Gefahr hinwies meine er abschätzig, es sei nicht meine Aufgabe, ihm etwas zu sagen. Er passe schon auf.

Trotz Raucherzonen auf allen Bahnsteigen, wird gepafft und gekifft, was das Zeug hält. Zigarettenkippen werden vorsätzlich auf dem Mobilift detoniert. Rollstuhlfahrende kommen so in den Genuss von zerdrückten Tabakresten direkt auf ihrer Augenhöhe. Man ist zu faul, aufzustehen und max. 5 Schritte zu gehen, um den Abfall korrekt zu entsorgen. Man verteilt Reste von Pommes, Saucen und die Tüten lieber genüsslich auf der Sitzbank. Als ich jemanden bat, seinen Unrat im Abfalleimer zu entsorgen, lies er ihn demonstrativ vor mir auf den Boden fall und meinte überheblich: "Kannst ihn ja selber auflesen und entsorgen."

Die Mitarbeitenden an der Front...

...sollten doch die Kunden und Kundinnen auf ihr fehlbares Verhalten aufmerksam machen. Solche und ähnliche Vorschläge kommen, wenn wundert 's, von Menschen, die zwar in der gleichen Firma, aber fernab vom Zugverkehr, in ihren modernen Büros sitzen. Ich, mit meinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, bin dem nachgekommen. Immer freundlich und auf keinen Fall konfrontativ, habe ich sachte auf die Regeln hingewiesen.

Von 10, ist höchstens 1 Person dem gefolgt. Meistens wurde ich ignoriert. Öfters mal wurde ich zurechtgewiesen. "Ich habe ihr (der Mutter) gar nichts zu sagen. Sie passe schon auf ihr Kind auf." Genau das Kind, dessen Kickboard beinahe ins Gleisbett gefallen war. Randständige haben da deutlich weniger Hemmungen. Arschloch fahr zur Hölle. Wenn ich dich das nächste Mal sehe, schlage ich dich zusammen. Pass auf, dass du nicht im Gleis landest. Du Hurensohn hast mir gar nichts zu sagen. 

Nach etwa 4 Wochen in der neuen Tätigkeit hörte ich damit auf. Auch wenn ich mich als loyaler Mitarbeiter mitverantwortlich fühle, dass unsere Kunden angenehm reisen können, meine eigene Sicherheit ist mir wichtiger! Den Satz "Wie man in den Wald ruft, so kommt es zurück", lasse ich so nicht gelten. Ich bin bei weitem nicht perfekt. Freundlichkeit kann ich aber auf einem professionellen Niveau!

Gewalttätige Kommunikation...

...scheint immer alltäglicher zu werden. Meistens liest man in den Volksdenunzianten Blätter von nau bis 20min, wie sich wieder jemand geprügelt hat. Natürlich, wie es sich gehört, mit einem Gaffervideo oder Nahaufnahmen vom Tatort schön für die Allgemeinheit dokumentiert. 

Im letzten Jahr musste ich 2 körperliche Übergriffe erleben. Nicht zu reden von den ständigen Grenzüberschreitungen, wenn sich Menschen ein paar wenige cm vor meiner Nase aufpflanzen und mich lauthals und drohend auffordern, ihren Fragen zu antworten. Wehe die entsprechen nicht zu 100% ihren Vorstellungen, dann wird zuerst gegen die Firma und öfters gegen mich persönlich gewettert und geflucht.

Rücksichtslosigkeit und Egoismus...

...ist die Basis um sich Heute durchzusetzen. Wenn ich nicht haargenau die Antwort oder Dienstleistung erhalte, die exakt meinen Vorstellungen entspricht, lasse ich buchstäblich die Sau raus. Kein Anliegen zu klein, ein Shitstorm zu sein - oder zu werden.

Ich erinnere mich an die Frau aus Asien, die mir buchstäblich das Einsteigebrett aus den Händen reissen wollte, währenddessen der Kunde darauf am Einsteigen war. Egal ob die Kundin im Rollstuhl bereits in der Zugtüre steht, Mann und Frau drängt sich vorbei, als stände der Wagen im Vollbrand. Türe offen - raus!

Sobald man als Mitarbeitender des ÖV erkennbar ist, werden die grundlegenden Anstandsregeln und der Respekt zweitrangig oder vergessen. Ich Kunde will!!! "Train to Zürich", in einem Ton als hätte ich das teuerste Porzellan der Herrschaften zerschlagen. Ist man an einer Beratung, wird man selbstverständlich unterbrochen. "Jetzt komme ich und alle anderen haben zu warten:" 

Ich bin..

...fassungslos, wie Menschen miteinander umgehen und was sie sich antun können. "Be  kind to eachother." (Seit nett zueinander) gilt auf jeden Fall nicht im öffentlichen Verkehr. Als hochempfindsamer Mann, kann ich mich zu wenig abgrenzen. Auch wenn die Angriffe (unter der Gürtellinie) meistens nicht persönlich formuliert sind, kommen sie bei mir oft so an.

Bei sichtlich suchtkranken Menschen überrascht mich eine gewisse Aggressivität und Gewaltbereitschaft nicht. Ich wurde aber von einem Chauffeur eines Limousinenservices am Kragen gepackt, weil er mir das Namensschild abreissen wollte. Das nur, weil er der festen Überzeugung war, dass ich meine Arbeit nicht seinen Ansprüchen entsprechend ausführe. Als ich jemandem sagte, dass ich zuerst ein Kundengespräch beende und er warten solle, wurde er handgreiflich und bettitelte mich Hurensohn und Arschloch. Meine Kolleg:innen meinten dazu, Göschenen - Airolo (in einem Ohr rein, im anderen raus). Aber ich kann das nicht. Bei mir bleibt die Scheisse regelmässig und viel zu lange im Tunnel meiner Seele stecken, bis ich es endlich gelingt, die Verletzungen rauszukotzen.

Kein Mensch hat, das Recht, meine Grenzen zu überschreiten. Als ich ihn mir mit der ausgestreckten Hand vom Leibe hielt, teilte mir die Transportpolizei mit, dass ich zuerst reagiert habe und ich angeklagt werden könne. Es kann doch nicht sein, dass Mitarbeitende an der Kundenfront, wie der letzte Dreck behandelt werden und man sie nach Lust und Laune traktieren darf. Von der Polizei kannst Du keine Hilfe erwarten! Sie reagieren erst, wenn es zu spät ist und dann auch noch äusserst desinteressiert. Das musste ich leider für Euch testen. Im Zweifel für den Täter!

Ich musste bereits in meiner Kindheit und Jugend Grenzüberschreitungen erleben. Das hat mich geprägt. Bis vor meinem Stage war ich der Meinung, dass wir miteinander menschlich umgehen können, aber da habe ich mich getäuscht. Ich zeigte Verständnis für Menschen in Ausnahmesituationen (beim Ein-/Aussteigen vom Zug). Jetzt habe ich keines mehr. Wenn mich jemand anmotzt und seinen Frust bei mir ablassen will, antworte ich ihm professionell, freundlich aber bestimmt und setze Grenzen.

Mein Einfühlungsvermögen musste ich in diesem Jahr bewusst zurückschrauben. Mein Verständnis für Bettler, die trotz Verbot Menschen belästigen, ist nicht mehr da. Mir ist egal welcher Ethnie ein Mensch angehört, wer meint, mich wie ein Fussabtreter behandeln zu können, dem sage ich das klar und verständlich, dass das nicht geht.

Das Positive...

...gab es auch. Aber es hätte viel mehr davon gebraucht, damit ich all die Respektlosigkeit, den fehlenden Anstand und Übergriffe nur halbwegs vergessen könnte. Ich bin ein Mensch und kann meine Gefühle nicht einfach abstellen. Leider ist (in mir) in diesem Jahr sehr viel kaputtgegangen. Zu viel!

Ich danke Pexels für das kostenfreie Foto

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Hochempfindsamer Beziehungskiller


Wie fühlt sich das an? Du willst dich mit nahen Freunden treffen. Ihr habt euch schon länger nicht mehr gesehen. Freudig siehst du dem Beisammensein und Austausch entgegen. 2 Stunden vor der Abfahrt fühlst du dich plötzlich ausgelaugt und wie gelähmt, Schachmatt gesetzt. Es gibt keine andere Möglichkeit, als den schönen, gemütlichen Abend abzusagen. 

Mein Akku war vorher noch auf 70 % und ist jetzt auf 30 gefallen. Es ist, wie jemand mich mit dem Hochdruckreiniger mit Müdigkeit, Schmerzen, Überforderung und Anspannung abspritzt. Eigentlich bräuchte ich jetzt Zeit, um wieder zu mir zu finden, zur Ruhe kommen zu können. Meine Alltagsfilter sind komplett verstopft. Die Kollegin, die plötzlich reagiert, als hätte ich sie tödlich beleidigt, der Manager, der das ganze Zugabteil zusammen telefoniert, das Kreischen der Züge im Bahnhof. Die ganzen (normalen) täglichen Eindrücke überfordern mich und dringen nun ungefiltert in meine Seele. Wenn ich nicht vereinsamen will, muss ich meine Beziehungen pflegen. Trotzdem stosse ich dabei täglich an meine Grenzen. 

Schlafen - Pendeln - Arbeiten - Essen - Schlafen

Ich wohne in Thun und arbeite in Zürich. Das heisst jeden Tag um 04:15h Aufstehen, um 07:05h in Zürich mit der Arbeit beginnen, um 16:00h nach Hause fahren und um 18:00h endlich wieder die Wohnungstüre öffnen. Da bleibt oft nur noch Zeit zum Essen, ein bisschen TV schauen und um ins Bett zu gehen.

Meine Hobbys habe ich bis auf das Musizieren im Verein praktisch alle aufgegeben. Mein Zimmer und die Garage sind voll von Freizeitprojekten, die ich irgendwann mal anfangen will. Am Abend kann ich als hochempfindsamer Mensch nicht einfach auf Knopfdruck von Arbeit auf Feierabend wechseln. Da meine Filter oder Abgrenzung nur unzureichend funktionieren, benötige ich viel Zeit, um meinen Kopf wieder zu leeren. Das viel gerühmte Durchlüften beim Sport funktioniert bei mir nicht. Durch den Arbeitsweg von 3:20h Hin und Zurück bin ich meistens zu erschöpft.

Warum suchst du dir keinen anderen Job? Das habe ich versucht. Es wurden gegen 100 Stellenbewerbungen. Aber auf jemanden Mitte 50 mit meiner Ausbildung wartet niemand. Ich bin froh und sehr dankbar, dass ich noch arbeiten kann und darf. Im Moment bin ich noch in der privilegierten Lage, dass ich mir beim Einkaufen auch mal etwas Leckeres gönnen kann. Das kostet mich aber sehr viel Energie, von der ich eigentlich zu wenig habe.

Das Herz sagt Ja, der Geist und Körper sagen Nein.

Mein Bedürfnis nach Zeit für mich alleine ist im Vergleich zu Menschen ohne Hochempfindsamkeit riesengross. Ich freue mich auf die Proben in der Musikgesellschaft. Vereinsmitglieder zu treffen, auszutauschen und gemeinsam zu musizieren. Doch oft muss ich mir eingestehen, dass es mich total überfordern würde. Nach einem Tag, überwältigt von Eindrücken, Emotionen, Schmerzen wäre meine Seele wie ein Regenfass, dass beim Wolkenbruch überläuft. 

Partner*innen von hochempfindsamen Menschen brauchen sehr viel Verständnis und müssen ihre Bedürfnisse oft (viel zu oft) zurückstellen. Gesunde Beziehungen sind geprägt vom Geben und Nehmen. Oft (viel zu oft) muss ich mich aber so stark auf mich konzentrieren, dass ich die Anliegen meiner Frau praktisch ausblende. 

Ja, Hochempfindsamkeit kann zu einem Beziehungskiller werden. Ich habe keine Lösung und bitte einfach nur um ein bisschen Verständnis, dass mein Herz Ja, mein Geist und Körper aber Nein sagen.

Vielen Dank für das lizenzfreie Foto von Stormseeker auf Unsplash

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Ich bin Kunde - arrogant - egoistisch - überheblich

Was erwartest du von einem Mitarbeitenden im Supermarkt? Was erwartest du von einem Mitarbeitenden in Uniform auf dem Bahnsteig? Was dürfen diese Personen von dir erwarten? Sind es deine Diener? Erwartest du von ihnen, dass sie dir jede Frage sofort und kompetent beantworten, egal um was es sich handelt? Bemühst du dich, sie freundlich anzusprechen?

Ich arbeite als Kundenassistent

Meine Hauptaufgabe ist, Menschen mit eingeschränkter Mobilität beim Ein-, Aus- und Umsteigen vom Bahnhofeingang bis auf die Bahnsteige zu unterstützen. Damit meine Kunden, das Zugpersonal und die Lokführer mich klar erkennen, trage ich eine orangerote Warnweste. So bin ich für alle gut sichtbar, wenn ich z. B. einen Mobilift schiebe, damit ein Rollstuhlfahrer aussteigen kann. 

99,9 % meiner Kunden sind nett, aufgestellt und dankbar. Mit vielen bin ich unterdessen per du. Zu einigen habe ich ein Verhältnis aufgebaut, dass wir uns auch mal erzählen, was uns persönlich bewegt. Gefühlte 80 % der Kunden verhalten sich rücksichtsvoll, räumen sofort den Platz, bevor ich die Sitze im Zug für den Rollstuhl hochklappen will. Sie warten selbstverständlich, wenn ich das Brett beim Einstieg hinlege, damit meine Kunden in den Vorraum vom Abteil fahren können. Gefühlte 20 % der Reisenden, verhalten sich aber gegenüber Menschen mit Beeinträchtigungen arrogant, egoistisch und überheblich. Gegenüber mir vergessen sie öfters jede Form von...

Anstand und Respekt

Neben meiner Hauptaufgabe arbeite ich an den neuralgischen Punkten im Bahnhof als Kundenassistent. Ich unterstütze Bahnreisende im Fahrkartenkauf an den Automaten oder informiere sie über die nächsten Zugverbindungen. 99,9 % sind dankbar für die Hilfe. Viele zeigen sogar Verständnis, wenn störungsbedingt, keine Fahrkarten gelöst werden können oder Züge Verspätung haben. Da sind aber immer noch die 20 % von vorher, die nicht wissen, wie sie sich zu benehmen haben. Jeden Tag werde ich angemotzt, jeden 3. Tag erlebe ich einen verbalen Übergriff und ca. alle 3 Wochen werde ich bedroht. Ich kann Sätze wie: "Es gibt keine unfreundlichen Kunden." "Der Kunde hat das Recht, sich zu beschweren", nicht mehr hören.

Hat der Kunde aber auch das Recht, mich wie sein Fussabtreter zu behandeln? Hat er das Recht, mich mit Schimpfwörtern der untersten Schublade zu betiteln? Steht es ihm zu, mich wie ein Mitglied der unberührbaren Kaste zu behandeln?

Du musst auf jeden Fall freundlich bleiben! Mit dem musst du umgehen können! Du musst sachlich bleiben! Versuch, dein Gegenüber abzuholen, wo es ist! Das ist für mich zum grössten Teil blanke Theorie. Man verschliesst bewusst, die Augen vor dem Problem der aggressiven Kunden. Mitarbeitende, egal in welcher Branche, werden wenig bis gar nicht geschützt. Das ist Fakt und lässt sich nicht wegdiskutieren oder schönreden!

Ich bin "immer" freundlich

Es ist meine Aufgabe, Kunden zu unterstützen! Wer mich normal und noch besser anständig fragt, erhält eine gleiche Antwort, die ich öfters mit einem Lachen quittiere. Ich kann gut auf Menschen eingehen. Durch meine fundierten Fremdsprachenkenntnisse bin ich in der Lage, auch ausländische Gäste kompetent zu beraten. Durch mein Einfühlungsvermögen (Hochempfindsamkeit) erfasse ich auch, wenn sich die Kunden in einer angespannten Situation befinden. In einem solchen Fall kann ich auch eine forsche, gefrustete oder genervte Fragestellung freundlich und ruhig beantworten.

Ein paar Kostproben

Oft werde ich direkt und überheblich angemotzt: Geneva! Guten Tag, Sie wünschen? Geneva! Hello, what do you like to know? Geneva! Sorry?

Mit Vorliebe werde ich unterbrochen, wenn ich bereits mit einem Kunden beschäftigt bin. Ganz egoistisch nach dem Motto, jetzt komme ich und alle anderen haben zu warten. Wenn ich ihn freundlich und bestimmt darauf hinweise, dass mein Gesprächspartner vor ihm da war, werde ich trotzdem mindestens 1 - 2x unterbrochen. 

Oft werde ich mitten in einem Ein-/Auslad angesprochen aka gestört. Selbst wenn diese Tätigkeit meine volle Aufmerksamkeit verlangt, und das klar sichtbar ist. Es ist egal, sie wollen jetzt, sofort bedient werden. Eine Kundin kreischte mich mitten im Handling an: I want this! I want this! Sie war kurz davor, mir das Brett für den Rollstuhl zu entreissen, weil sie es für den Einlad ihres Kinderwagens benutzen wollte. 

Ein Besoffener beschwerte sich bei der Kollegin, weil er den Zug verpasst hatte. Der war gar nicht angeschrieben! Der hat nicht gewartet. Ihr seid doch eine verfickte, verschissene Eisenbahn.

Gefühlte 40 % der Menschen, die mich ansprechen, halten es nicht für nötig, mich zuerst zu begrüssen. Normal sind: He sie oder noch öfters, He du! Manche merken das, wenn ich sie zuerst freundlich und höflich willkommen heisse, manche ignorieren das und wiederholen ultimativ ihre Fragen aka Forderungen.

Ach ja, ich bin die Bahn und ich bin der Bahnhof. Ich muss alles wissen. Es reicht nicht, wenn ich sie an weitere Stellen verweise, die ihre Fragen beantworten können. Nein, ich will meine Information hier und jetzt!

Noch schlimmer wird es, wenn ich Menschen freundlich auf teilweise lebensgefährliches Fehlverhalten aufmerksam mache. Als ein Kind auf dem vollen Bahnsteig mit seinem Kickboard Kurven drehte, intervenierte ich kurz bevor der Zug einfuhr. Die erboste Antwort war: Das ist mein Kind! Ich passe schon auf! Ich erziehe es, wie ich es für richtig halte!

Wenn ich Kunden vor Randständigen schützen will, die sie bedrängen, wurde ich auch schon mit dem Leben bedroht: Beim nächsten Mal, erschlage ich dich

Es lässt mich nicht kalt

Solche Gespräche (???) finden aus meiner Sicht definitiv nicht auf Augenhöhe und im gegenseitigen Respekt statt. Es ist mir bewusst, dass ich den Arbeitgeber repräsentiere. Aber den ganzen Scheissdreck muss trotzdem ich alleine schlucken. Solche Erlebnisse hallen zu stark und zu lange in mir nach. Meistens hinterfrage ich mich. War ich doch unabsichtlich, zu wenig genug freundlich? Habe ich den Kunden unwissentlich provoziert? Was für Möglichkeiten habe ich damit umzugehen? 

Ich blende das Erlebnis aus und vergesse es. So etwas gelingt mir nur teilweise. Ich grenze mich stärker gegenüber diesen Kunden ab. Das ist eine Möglichkeit, heisst aber auch, ich muss meine einfühlsame Art, hinter einer Maske verstecken.  Vom Arbeitgeber erhalte ich "nur" nur gutgemeinte, aber schlecht umsetzbare Ratschläge. "Du musst dich aus dem Konflikt entfernen".  Dass das den "Kunden" noch mehr erzürnt und er mir nachläuft, am Arm packt, ist noch nie im Leben passiert. Ich bin ein Mensch! Ich habe Gefühle! Ich bin nicht, die Firma! 

Die Firma kann mehr tun

Man kann z.B. lernen, wie ich auf freundliche und zuvorkommende Art einem Gegenüber sage, dass sein Verhalten inakzeptabel und unter aller Sau ist. Es gibt Gesprächstechniken, wie man einem ausfälligen Menschen, den Wind aus den Segeln nehmen kann. Das würde aus meiner Sicht viel mehr bringen als Aussagen wie: Es gibt keine arroganten Kunden. Jede Reklamation ist eine Chance für dich.

Es wäre ein Leichtes, eine Austauschgruppe zu gründen, in der Betroffene sich über negative Erfahrungen austauschen könnten. Noch besser, wenn sie von einer Fachperson begleitet würde. Aber nein, die Kunden sind unsere Könige, auch wenn sich einige wie Diktatoren verhalten.

Ein Bekenntnis der Arbeitgeber: "Ja, es gibt arrogante, egoistische und überhebliche Kunden. Wir wissen das und nehmen euch wahr" wäre schon mal ein kleiner Schritt, in die richtige Richtung.

Ich war auch Täter

Vor einigen Jahren arbeitete ich als IT-Ansprechpartner in einer Abteilung von etwa 600 Personen. Dabei kümmerte ich mich um die speziellen Bedürfnisse meiner Kollegen, die nicht vom "normalen" IT-Support des Konzerns abgedeckt werden konnten. Während einem gefühlten Jahr musste ich gefühlt jeden 2. Tag anrufen, weil ein grösseres Problem nicht behoben werden konnte. 

Dabei wurde ich arrogant, überheblich und ungeduldig. Ich realisierte lange Zeit nicht, dass mein Benehmen in keiner Weise zur Lösung beiträgt, im Gegenteil. Nach ein paar Tipps aus meinem Umfeld, versuchte ich es bewusst, mit einem 180 Grad anderen Verhalten. Ich war überfreundlich, verständnisvoll, geduldig (aber doch beharrlich), und respektierte meine Ansprechpartner als Gegenüber auf Augenhöhe. So ersparte ich ihnen ein negatives Gefühl und mir einige vorzeitige graue Haare.

Ich erfahre nun selbst, dass einige "Menschen" die Mitarbeitenden im direkten Kundenkontakt wie der letzte Dreck behandeln. Wir werden zu oft als Frust Entsorgung missbraucht. Viele wissen ganz genau, dass wir uns nicht angemessen wehren dürfen.

Ausser man tut es

Aus Dank für ihre Arbeit behandle ich die Menschen bewusst mit Respekt und Achtung. Ich bedanke mich stets für die freundliche und kompetente Bedienung. Das trifft in gefühlten 95 % der Fälle zu. Sonst sehe ich es als Motivation.

Werde ich sogar angelacht, antworte ich mit: "Ihr Lachen ist mega ansteckend." So haben die Menschen im Verkauf Freude und ich habe Freude, dass sie sich freuen. Richtig sprachlos werden sie, wenn ich ihnen für eine besonders gute Bedienung ein Präsent überreiche. 

Ich sehe mich jetzt nicht als das Vorbild. Behandeln wir Mitarbeitende, die uns Kunden "dienen", doch einfach anständig. Dann kommen wir alle schneller, einfacher und entspannter ans Ziel.

Ich bedanke mich bei Pexels.com für das lizenzfreie Foto.

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Er ist nicht die Depression, er ist an ihr erkrankt!

Wie geht es deinem Freund? Er, der offen mit dir über seine Probleme spricht. Er, der auch die Dinge auch mal beim Namen nennt, wenn du dich nicht traust. Ich will diese Freunde zu Wort kommen lassen. Sie sollen direkt und ohne schöne Verzierungen schreiben können, wie sie mit Depressionen umgehen. Es sind keine Ratschläge oder Vorschläge für Skills (Überlebensstrategien). Unsere Freunde sollen sagen, was sie sich wünschen, wenn sie nichts mehr zu wünschen übrig haben.

Dumme Fragen und gescheite Antworten

Es gibt keine dummen Fragen. Dem stimme ich zu. Aber es gibt Fragen, die uns dumm vorkommen. Es liegt bei uns, wie wir sie beantworten wollen. Die richtige Antwort zu finden ist manchmal schwieriger als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aber es lohnt sich, denn nur so können wir dazu beitragen, dass unsere Freunde die folgenden Klischees nicht immer und immer wieder beantworten müssen.

Denk an etwas Schönes, dann geht es dir wieder besser

Obschon "auf andere Gedanken kommen" überlebenswichtig für depressive Menschen ist, kann so ein Satz komplett nach hinten losgehen. In einer akuten Phase ist alles schwarz oder höchstens grau. Ein solches Klischee suggeriert dem erkrankten Menschen, dass er sich die Depression nur ausdenkt.

Geh mal raus, bewege dich, mach mal Sport

Obschon das wirklich hilft, nützen diese Sätze einem depressiven Menschen oft wenig. Denn wenn er mittendrin steckt, ist selbst das Aufstehen nicht zu schaffen. Wie soll er dann noch durch die Gegend joggen!

Ich bin mir sicher, dass 99 % der Menschen mit Depressionen wissen, dass körperliche Betätigung hilft, auf andere Gedanken zu kommen, psychisch durchzuatmen und wieder einmal Tageslicht zu sehen. Aber - es muss sich NIEMAND ein Gewissen machen, der es nicht schafft. Für viele ist ein Schritt ans offene Fenster oder auf den Balkon bereits eine grosse Leistung.

Jeder ist mal traurig, reiss dich mal zusammen

Ein depressiver Mensch ist mit Überleben beschäftigt, da bleibt absolut keine Kraft, um sich zusammenzureissen. Er setzt alles ein, damit sein Leben nicht auseinanderfällt. Depression hat sehr viel mit Zweifeln und Verzweifeln zu tun. Mit solchen Aussagen bestärken Aussenstehende diese negativen Gefühle nur noch mehr. 

Du siehst gar nicht krank aus

Siehst du einem Menschen an, dass er einen Bandscheibenvorfall hat, wenn sein Gesicht nicht schmerzverzerrt und seine Körperhaltung verkrümmt ist? Erkennst du, dass bei deinem Gegenüber vor kurzem Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden ist? Du kannst nicht in die Seele eines Menschen blicken!

Durchfall, Kopfschmerzen, Fieber werden problemlos als Krankmeldungen akzeptiert. Warum ist das bei einer Depression nicht der Fall? Wann hat sich jemand mit der Begründung depressiv krankgemeldet? Das obschon Betroffene genauso arbeitsunfähig sind wie bei 40 Grad Fieber.

Warum bist du so unfreundlich und abweisend zu mir?

Wenn depressive Menschen überhaupt nicht oder abweisend reagieren, ist das keine Zurückweisung. Sie benötigen die wenigen, verbleibenden Kräfte, um zu überleben. Menschliche Interaktion liegt da oft nicht oder nur sehr eingeschränkt drin. Die Frage ist wohl eher, bin ich als gesunder Mensch bereit, auf mein erkranktes Teammitglied Rücksicht zu nehmen.

usw. usw. usw.

Vielen Dank an Pexels.com für das lizenzfreie Foto. 

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Was macht das mit dir?


Was macht das mit dir? Was löst das in dir aus? Solche Fragen werden uns gestellt, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Man erkennt Gesprächsbedarf. Meistens sind es Situationen, in denen es kein 100prozentiges richtig oder Falsch gibt. Persönliche Ansichten, Interpretationen und Gefühlen spielen dabei eine grosse Rolle. 

Nun sitze ich also da, im Chefbüro, mit meiner Frau auf dem Sofa oder das höchste der Gefühle, am Teambildungsanlass. Es sind alles Situationen, in denen ich mich nicht verschliessen will und Gesprächsbereitschaft signalisiere, ob es mir passt oder nicht. Für mich als hochempfindsame Person sind solche Momente Alarmstufe rot. Da ich mich schlecht abgrenzen kann und meine Filter nicht wirklich funktionieren, konzentriere ich mich darauf zu analysieren, ob ich verletzt werde und ob ich mich auch verletzt fühlen darf.

Ich verstecke mich zur Sicherheit einmal hinter genug dicken und starken Mauern. Ganz im Bewusstsein, dass ich mich öffnen muss, aber bitte schön langsam und nur Schritt für Schritt. Bamm! Als Erstes werde ich mit der Frage: "Was löste das in dir aus?" Das empfinde ich als Angriff, voll ins Zentrum, durch all meine Schutzmauern durch. Soll ich mich jetzt komplett öffnen und darüber sprechen, was mich im Innersten bewegt, ängstigt, erzürnt? Ist dieser Seelenstriptease wirklich nötig? Ich öffne sozusagen ein Tor und ermögliche meinem Gegenüber einen Frontalangriff direkt in mein Herz. Eigentlich will ich doch nur in Ruhe gelassen werden und mit allen gut zurechtkommen.

Ich erinnere mich genau an einen der Teamanlässe, bei denen die Vorgesetzten und Mediatoren der Meinung sind, mit einem klärenden Gespräch den Zusammenhalt wieder herzustellen. Zum Glück war er nicht noch mit einer gemeinsamen outdoorsuperadventure Extremerfahrung verbunden. Trotzdem war es die Hölle für mich. Als der Mediator nicht aufhören wollte, das Vertrauen die Offenheit und die notwendige Gesprächskultur zu betonen, merkte ich, dass der nicht stoppt, bis er eine Ursache oder Schuldigen gefunden hat. Da ich mich bei solchen Anlässen zurückhalte, wurde schlussendlich klar, dass er mich meint. Obschon das niemand zugeben oder behaupten würde. Ich hatte keine andere Wahl, als mich zu öffnen und möglichst detailliert zu schildern, was die Situation bei mir auslöst. Danach fühlte ich mich so was von überfahren und missbraucht.

Es heisst so schön: "Fragen darf man immer, wenn man die Antwort nicht scheut." Besser ist: "Fragen darf man immer, wenn man mit der Antwort umgehen kann und sie so akzeptiert." UND nicht nachbohrt, UND der Gesprächspartner bekniet, in die Enge treibt, bis man endlich eine Antwort erhält, die möglichst den eigenen Vorstellungen entspricht. Genau da hackt es. Frage ich, um meine Vorurteile, Eindrücke bestätigen zu können? Frage ich wirklich, um die Haltung meines Gegenübers besser kennenzulernen und zu verstehen? Frage ich, um meine Rechtfertigung besser formulieren zu können? Frage ich, weil ich meinen Gesprächspartner herausfordern und konfrontieren will? Viele Menschen fragen nicht um zuzuhören, sondern um zu antworten.