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Hochempfindsamer Beziehungskiller


Wie fühlt sich das an? Du willst dich mit nahen Freunden treffen. Ihr habt euch schon länger nicht mehr gesehen. Freudig siehst du dem Beisammensein und Austausch entgegen. 2 Stunden vor der Abfahrt fühlst du dich plötzlich ausgelaugt und wie gelähmt, Schachmatt gesetzt. Es gibt keine andere Möglichkeit, als den schönen, gemütlichen Abend abzusagen. 

Mein Akku war vorher noch auf 70 % und ist jetzt auf 30 gefallen. Es ist, wie jemand mich mit dem Hochdruckreiniger mit Müdigkeit, Schmerzen, Überforderung und Anspannung abspritzt. Eigentlich bräuchte ich jetzt Zeit, um wieder zu mir zu finden, zur Ruhe kommen zu können. Meine Alltagsfilter sind komplett verstopft. Die Kollegin, die plötzlich reagiert, als hätte ich sie tödlich beleidigt, der Manager, der das ganze Zugabteil zusammen telefoniert, das Kreischen der Züge im Bahnhof. Die ganzen (normalen) täglichen Eindrücke überfordern mich und dringen nun ungefiltert in meine Seele. Wenn ich nicht vereinsamen will, muss ich meine Beziehungen pflegen. Trotzdem stosse ich dabei täglich an meine Grenzen. 

Schlafen - Pendeln - Arbeiten - Essen - Schlafen

Ich wohne in Thun und arbeite in Zürich. Das heisst jeden Tag um 04:15h Aufstehen, um 07:05h in Zürich mit der Arbeit beginnen, um 16:00h nach Hause fahren und um 18:00h endlich wieder die Wohnungstüre öffnen. Da bleibt oft nur noch Zeit zum Essen, ein bisschen TV schauen und um ins Bett zu gehen.

Meine Hobbys habe ich bis auf das Musizieren im Verein praktisch alle aufgegeben. Mein Zimmer und die Garage sind voll von Freizeitprojekten, die ich irgendwann mal anfangen will. Am Abend kann ich als hochempfindsamer Mensch nicht einfach auf Knopfdruck von Arbeit auf Feierabend wechseln. Da meine Filter oder Abgrenzung nur unzureichend funktionieren, benötige ich viel Zeit, um meinen Kopf wieder zu leeren. Das viel gerühmte Durchlüften beim Sport funktioniert bei mir nicht. Durch den Arbeitsweg von 3:20h Hin und Zurück bin ich meistens zu erschöpft.

Warum suchst du dir keinen anderen Job? Das habe ich versucht. Es wurden gegen 100 Stellenbewerbungen. Aber auf jemanden Mitte 50 mit meiner Ausbildung wartet niemand. Ich bin froh und sehr dankbar, dass ich noch arbeiten kann und darf. Im Moment bin ich noch in der privilegierten Lage, dass ich mir beim Einkaufen auch mal etwas Leckeres gönnen kann. Das kostet mich aber sehr viel Energie, von der ich eigentlich zu wenig habe.

Das Herz sagt Ja, der Geist und Körper sagen Nein.

Mein Bedürfnis nach Zeit für mich alleine ist im Vergleich zu Menschen ohne Hochempfindsamkeit riesengross. Ich freue mich auf die Proben in der Musikgesellschaft. Vereinsmitglieder zu treffen, auszutauschen und gemeinsam zu musizieren. Doch oft muss ich mir eingestehen, dass es mich total überfordern würde. Nach einem Tag, überwältigt von Eindrücken, Emotionen, Schmerzen wäre meine Seele wie ein Regenfass, dass beim Wolkenbruch überläuft. 

Partner*innen von hochempfindsamen Menschen brauchen sehr viel Verständnis und müssen ihre Bedürfnisse oft (viel zu oft) zurückstellen. Gesunde Beziehungen sind geprägt vom Geben und Nehmen. Oft (viel zu oft) muss ich mich aber so stark auf mich konzentrieren, dass ich die Anliegen meiner Frau praktisch ausblende. 

Ja, Hochempfindsamkeit kann zu einem Beziehungskiller werden. Ich habe keine Lösung und bitte einfach nur um ein bisschen Verständnis, dass mein Herz Ja, mein Geist und Körper aber Nein sagen.

Vielen Dank für das lizenzfreie Foto von Stormseeker auf Unsplash

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Ich bin Kunde - arrogant - egoistisch - überheblich

Was erwartest du von einem Mitarbeitenden im Supermarkt? Was erwartest du von einem Mitarbeitenden in Uniform auf dem Bahnsteig? Was dürfen diese Personen von dir erwarten? Sind es deine Diener? Erwartest du von ihnen, dass sie dir jede Frage sofort und kompetent beantworten, egal um was es sich handelt? Bemühst du dich, sie freundlich anzusprechen?

Ich arbeite als Kundenassistent

Meine Hauptaufgabe ist, Menschen mit eingeschränkter Mobilität beim Ein-, Aus- und Umsteigen vom Bahnhofeingang bis auf die Bahnsteige zu unterstützen. Damit meine Kunden, das Zugpersonal und die Lokführer mich klar erkennen, trage ich eine orangerote Warnweste. So bin ich für alle gut sichtbar, wenn ich z. B. einen Mobilift schiebe, damit ein Rollstuhlfahrer aussteigen kann. 

99,9 % meiner Kunden sind nett, aufgestellt und dankbar. Mit vielen bin ich unterdessen per du. Zu einigen habe ich ein Verhältnis aufgebaut, dass wir uns auch mal erzählen, was uns persönlich bewegt. Gefühlte 80 % der Kunden verhalten sich rücksichtsvoll, räumen sofort den Platz, bevor ich die Sitze im Zug für den Rollstuhl hochklappen will. Sie warten selbstverständlich, wenn ich das Brett beim Einstieg hinlege, damit meine Kunden in den Vorraum vom Abteil fahren können. Gefühlte 20 % der Reisenden, verhalten sich aber gegenüber Menschen mit Beeinträchtigungen arrogant, egoistisch und überheblich. Gegenüber mir vergessen sie öfters jede Form von...

Anstand und Respekt

Neben meiner Hauptaufgabe arbeite ich an den neuralgischen Punkten im Bahnhof als Kundenassistent. Ich unterstütze Bahnreisende im Fahrkartenkauf an den Automaten oder informiere sie über die nächsten Zugverbindungen. 99,9 % sind dankbar für die Hilfe. Viele zeigen sogar Verständnis, wenn störungsbedingt, keine Fahrkarten gelöst werden können oder Züge Verspätung haben. Da sind aber immer noch die 20 % von vorher, die nicht wissen, wie sie sich zu benehmen haben. Jeden Tag werde ich angemotzt, jeden 3. Tag erlebe ich einen verbalen Übergriff und ca. alle 3 Wochen werde ich bedroht. Ich kann Sätze wie: "Es gibt keine unfreundlichen Kunden." "Der Kunde hat das Recht, sich zu beschweren", nicht mehr hören.

Hat der Kunde aber auch das Recht, mich wie sein Fussabtreter zu behandeln? Hat er das Recht, mich mit Schimpfwörtern der untersten Schublade zu betiteln? Steht es ihm zu, mich wie ein Mitglied der unberührbaren Kaste zu behandeln?

Du musst auf jeden Fall freundlich bleiben! Mit dem musst du umgehen können! Du musst sachlich bleiben! Versuch, dein Gegenüber abzuholen, wo es ist! Das ist für mich zum grössten Teil blanke Theorie. Man verschliesst bewusst, die Augen vor dem Problem der aggressiven Kunden. Mitarbeitende, egal in welcher Branche, werden wenig bis gar nicht geschützt. Das ist Fakt und lässt sich nicht wegdiskutieren oder schönreden!

Ich bin "immer" freundlich

Es ist meine Aufgabe, Kunden zu unterstützen! Wer mich normal und noch besser anständig fragt, erhält eine gleiche Antwort, die ich öfters mit einem Lachen quittiere. Ich kann gut auf Menschen eingehen. Durch meine fundierten Fremdsprachenkenntnisse bin ich in der Lage, auch ausländische Gäste kompetent zu beraten. Durch mein Einfühlungsvermögen (Hochempfindsamkeit) erfasse ich auch, wenn sich die Kunden in einer angespannten Situation befinden. In einem solchen Fall kann ich auch eine forsche, gefrustete oder genervte Fragestellung freundlich und ruhig beantworten.

Ein paar Kostproben

Oft werde ich direkt und überheblich angemotzt: Geneva! Guten Tag, Sie wünschen? Geneva! Hello, what do you like to know? Geneva! Sorry?

Mit Vorliebe werde ich unterbrochen, wenn ich bereits mit einem Kunden beschäftigt bin. Ganz egoistisch nach dem Motto, jetzt komme ich und alle anderen haben zu warten. Wenn ich ihn freundlich und bestimmt darauf hinweise, dass mein Gesprächspartner vor ihm da war, werde ich trotzdem mindestens 1 - 2x unterbrochen. 

Oft werde ich mitten in einem Ein-/Auslad angesprochen aka gestört. Selbst wenn diese Tätigkeit meine volle Aufmerksamkeit verlangt, und das klar sichtbar ist. Es ist egal, sie wollen jetzt, sofort bedient werden. Eine Kundin kreischte mich mitten im Handling an: I want this! I want this! Sie war kurz davor, mir das Brett für den Rollstuhl zu entreissen, weil sie es für den Einlad ihres Kinderwagens benutzen wollte. 

Ein Besoffener beschwerte sich bei der Kollegin, weil er den Zug verpasst hatte. Der war gar nicht angeschrieben! Der hat nicht gewartet. Ihr seid doch eine verfickte, verschissene Eisenbahn.

Gefühlte 40 % der Menschen, die mich ansprechen, halten es nicht für nötig, mich zuerst zu begrüssen. Normal sind: He sie oder noch öfters, He du! Manche merken das, wenn ich sie zuerst freundlich und höflich willkommen heisse, manche ignorieren das und wiederholen ultimativ ihre Fragen aka Forderungen.

Ach ja, ich bin die Bahn und ich bin der Bahnhof. Ich muss alles wissen. Es reicht nicht, wenn ich sie an weitere Stellen verweise, die ihre Fragen beantworten können. Nein, ich will meine Information hier und jetzt!

Noch schlimmer wird es, wenn ich Menschen freundlich auf teilweise lebensgefährliches Fehlverhalten aufmerksam mache. Als ein Kind auf dem vollen Bahnsteig mit seinem Kickboard Kurven drehte, intervenierte ich kurz bevor der Zug einfuhr. Die erboste Antwort war: Das ist mein Kind! Ich passe schon auf! Ich erziehe es, wie ich es für richtig halte!

Wenn ich Kunden vor Randständigen schützen will, die sie bedrängen, wurde ich auch schon mit dem Leben bedroht: Beim nächsten Mal, erschlage ich dich

Es lässt mich nicht kalt

Solche Gespräche (???) finden aus meiner Sicht definitiv nicht auf Augenhöhe und im gegenseitigen Respekt statt. Es ist mir bewusst, dass ich den Arbeitgeber repräsentiere. Aber den ganzen Scheissdreck muss trotzdem ich alleine schlucken. Solche Erlebnisse hallen zu stark und zu lange in mir nach. Meistens hinterfrage ich mich. War ich doch unabsichtlich, zu wenig genug freundlich? Habe ich den Kunden unwissentlich provoziert? Was für Möglichkeiten habe ich damit umzugehen? 

Ich blende das Erlebnis aus und vergesse es. So etwas gelingt mir nur teilweise. Ich grenze mich stärker gegenüber diesen Kunden ab. Das ist eine Möglichkeit, heisst aber auch, ich muss meine einfühlsame Art, hinter einer Maske verstecken.  Vom Arbeitgeber erhalte ich "nur" nur gutgemeinte, aber schlecht umsetzbare Ratschläge. "Du musst dich aus dem Konflikt entfernen".  Dass das den "Kunden" noch mehr erzürnt und er mir nachläuft, am Arm packt, ist noch nie im Leben passiert. Ich bin ein Mensch! Ich habe Gefühle! Ich bin nicht, die Firma! 

Die Firma kann mehr tun

Man kann z.B. lernen, wie ich auf freundliche und zuvorkommende Art einem Gegenüber sage, dass sein Verhalten inakzeptabel und unter aller Sau ist. Es gibt Gesprächstechniken, wie man einem ausfälligen Menschen, den Wind aus den Segeln nehmen kann. Das würde aus meiner Sicht viel mehr bringen als Aussagen wie: Es gibt keine arroganten Kunden. Jede Reklamation ist eine Chance für dich.

Es wäre ein Leichtes, eine Austauschgruppe zu gründen, in der Betroffene sich über negative Erfahrungen austauschen könnten. Noch besser, wenn sie von einer Fachperson begleitet würde. Aber nein, die Kunden sind unsere Könige, auch wenn sich einige wie Diktatoren verhalten.

Ein Bekenntnis der Arbeitgeber: "Ja, es gibt arrogante, egoistische und überhebliche Kunden. Wir wissen das und nehmen euch wahr" wäre schon mal ein kleiner Schritt, in die richtige Richtung.

Ich war auch Täter

Vor einigen Jahren arbeitete ich als IT-Ansprechpartner in einer Abteilung von etwa 600 Personen. Dabei kümmerte ich mich um die speziellen Bedürfnisse meiner Kollegen, die nicht vom "normalen" IT-Support des Konzerns abgedeckt werden konnten. Während einem gefühlten Jahr musste ich gefühlt jeden 2. Tag anrufen, weil ein grösseres Problem nicht behoben werden konnte. 

Dabei wurde ich arrogant, überheblich und ungeduldig. Ich realisierte lange Zeit nicht, dass mein Benehmen in keiner Weise zur Lösung beiträgt, im Gegenteil. Nach ein paar Tipps aus meinem Umfeld, versuchte ich es bewusst, mit einem 180 Grad anderen Verhalten. Ich war überfreundlich, verständnisvoll, geduldig (aber doch beharrlich), und respektierte meine Ansprechpartner als Gegenüber auf Augenhöhe. So ersparte ich ihnen ein negatives Gefühl und mir einige vorzeitige graue Haare.

Ich erfahre nun selbst, dass einige "Menschen" die Mitarbeitenden im direkten Kundenkontakt wie der letzte Dreck behandeln. Wir werden zu oft als Frust Entsorgung missbraucht. Viele wissen ganz genau, dass wir uns nicht angemessen wehren dürfen.

Ausser man tut es

Aus Dank für ihre Arbeit behandle ich die Menschen bewusst mit Respekt und Achtung. Ich bedanke mich stets für die freundliche und kompetente Bedienung. Das trifft in gefühlten 95 % der Fälle zu. Sonst sehe ich es als Motivation.

Werde ich sogar angelacht, antworte ich mit: "Ihr Lachen ist mega ansteckend." So haben die Menschen im Verkauf Freude und ich habe Freude, dass sie sich freuen. Richtig sprachlos werden sie, wenn ich ihnen für eine besonders gute Bedienung ein Präsent überreiche. 

Ich sehe mich jetzt nicht als das Vorbild. Behandeln wir Mitarbeitende, die uns Kunden "dienen", doch einfach anständig. Dann kommen wir alle schneller, einfacher und entspannter ans Ziel.

Ich bedanke mich bei Pexels.com für das lizenzfreie Foto.

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Was macht das mit dir?


Was macht das mit dir? Was löst das in dir aus? Solche Fragen werden uns gestellt, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Man erkennt Gesprächsbedarf. Meistens sind es Situationen, in denen es kein 100prozentiges richtig oder Falsch gibt. Persönliche Ansichten, Interpretationen und Gefühlen spielen dabei eine grosse Rolle. 

Nun sitze ich also da, im Chefbüro, mit meiner Frau auf dem Sofa oder das höchste der Gefühle, am Teambildungsanlass. Es sind alles Situationen, in denen ich mich nicht verschliessen will und Gesprächsbereitschaft signalisiere, ob es mir passt oder nicht. Für mich als hochempfindsame Person sind solche Momente Alarmstufe rot. Da ich mich schlecht abgrenzen kann und meine Filter nicht wirklich funktionieren, konzentriere ich mich darauf zu analysieren, ob ich verletzt werde und ob ich mich auch verletzt fühlen darf.

Ich verstecke mich zur Sicherheit einmal hinter genug dicken und starken Mauern. Ganz im Bewusstsein, dass ich mich öffnen muss, aber bitte schön langsam und nur Schritt für Schritt. Bamm! Als Erstes werde ich mit der Frage: "Was löste das in dir aus?" Das empfinde ich als Angriff, voll ins Zentrum, durch all meine Schutzmauern durch. Soll ich mich jetzt komplett öffnen und darüber sprechen, was mich im Innersten bewegt, ängstigt, erzürnt? Ist dieser Seelenstriptease wirklich nötig? Ich öffne sozusagen ein Tor und ermögliche meinem Gegenüber einen Frontalangriff direkt in mein Herz. Eigentlich will ich doch nur in Ruhe gelassen werden und mit allen gut zurechtkommen.

Ich erinnere mich genau an einen der Teamanlässe, bei denen die Vorgesetzten und Mediatoren der Meinung sind, mit einem klärenden Gespräch den Zusammenhalt wieder herzustellen. Zum Glück war er nicht noch mit einer gemeinsamen outdoorsuperadventure Extremerfahrung verbunden. Trotzdem war es die Hölle für mich. Als der Mediator nicht aufhören wollte, das Vertrauen die Offenheit und die notwendige Gesprächskultur zu betonen, merkte ich, dass der nicht stoppt, bis er eine Ursache oder Schuldigen gefunden hat. Da ich mich bei solchen Anlässen zurückhalte, wurde schlussendlich klar, dass er mich meint. Obschon das niemand zugeben oder behaupten würde. Ich hatte keine andere Wahl, als mich zu öffnen und möglichst detailliert zu schildern, was die Situation bei mir auslöst. Danach fühlte ich mich so was von überfahren und missbraucht.

Es heisst so schön: "Fragen darf man immer, wenn man die Antwort nicht scheut." Besser ist: "Fragen darf man immer, wenn man mit der Antwort umgehen kann und sie so akzeptiert." UND nicht nachbohrt, UND der Gesprächspartner bekniet, in die Enge treibt, bis man endlich eine Antwort erhält, die möglichst den eigenen Vorstellungen entspricht. Genau da hackt es. Frage ich, um meine Vorurteile, Eindrücke bestätigen zu können? Frage ich wirklich, um die Haltung meines Gegenübers besser kennenzulernen und zu verstehen? Frage ich, um meine Rechtfertigung besser formulieren zu können? Frage ich, weil ich meinen Gesprächspartner herausfordern und konfrontieren will? Viele Menschen fragen nicht um zuzuhören, sondern um zu antworten.

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Eine Zukunft im Nebel


Wie hast du dich gefühlt, als du umgezogen bist? Was für eine Herausforderung war es für dich, eine neue Arbeit oder neue Freunde zu finden? Ich mag keine Veränderungen. Bloss keine Veränderungen! Mir ist am liebsten, wenn die Schwingungen und Stimmungen zu Hause, an der Arbeit oder im Freundeskreis perfekt harmonieren.

Entgegen meinen Erwartungen, erhielt ich keine Zusage für einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Eigentlich ist das ein grosser Vorteil. Auf nächstes Jahr stehen grosse Veränderungen an. Im 3. Drittel wird die Situation noch einmal analysiert. Wenn sie mich dann "für immer" wollen, weiss ich mehr, was Sache ist und habe eine bessere Entscheidungsgrundlage. Ich kann problemlos zurück in meine alte Anstellung, das ist mir garantiert. Trotzdem bleibt eine Unsicherheit. Vieles ist im Nebel.

Um mich wohl zu fühlen, brauche ich aber eine Wettervorhersage für meine Lebensstürme, die 120prozentig zutrifft. Viel lieber wäre mir eine Garantie, dass der Arbeitsort so bleibt wie er ist und ich fest angestellt werde. Wenn ich wünschen könnte würde das Team perfekt zusammenspielen. Doch eine solche Garantie wird es nicht geben, und meine Wünsche wurden nicht erhört.

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Was habe ich dir getan?

Die Frauen arbeiten nicht gerne mit dir zusammen! Könnt ihr euch vorstellen, was eine solche Rückmeldung vom Chef in mir auslöst? Ich bin kein Macho! ich komme Frauen aus Prinzip nicht zu nahe! Ich muss nicht mit allen auf gut Freund machen! Trotzdem fange ich sofort an zu grübeln und lasse die letzten Monate vor meinem inneren Auge revue passieren. Auf meine Nachfrage wurde er nicht konkreter. Als ich ihm sagte, für mich ist unvorstellbar, dass sich XX auch negativ über mich geäussert habe, waren es plötzlich nicht mehr "alle" Frauen.

War da irgendetwas? Kann es sein, dass ich, durch mein Verhalten, irgendwo Missmut und Ärger verursacht habe. Als hochempfindsamer Mensch erinnere ich mich sehr gut an fast alle "Begegnungen". Ich habe sie in mir aufgenommen und kann sie nach belieben noch einmal abspielen. Meine Gefühle sind auch gespeichert und können zigfach wieder und wieder durchlebt werden.

Ich habe eine Kollegin zur Erfassung eines Arbeitsvorganges etwas gefragt. Ihre Antwort war teilweise falsch. Sie hat nachgehakt, ich habe ihr leider nur gesagt, dass ich sie verstanden habe, nicht aber auf ihre Fehleinschätzung hingewiesen. Ist es aber wirklich notwendig jede noch so kleine eventuell mögliche Konfliktsituation sofort anzusprechen? Genau das kann, mit dem Argument "harmoniesüchtig" wieder gegen mich verwendet werden.

Das wir an der Arbeit und Privat über die Menschen in unserem Umfeld sprechen, ist normal. Dass dabei zu einem grossen Teil gelästert und teilweise sogar intrigiert wird, gehört wohl zu der Natur des Menschen. Ich spielte in einem christlichen (!!!) Musikverein mit. Nach Jahren, ich war schon lange nicht mehr dabei, kam ein Mitglied zu mir und bat mich um Vergebung, weil er und andere damals über mich hergezogen. Bis jetzt hatte ich kein Problem damit. Jetzt aber schon! Leider habe ich an der Arbeit 1:1 mitbekommen, dass über mich getratscht wird. Jetzt habe ich ein Problem.

Nun ist es (wieder einmal) an mir, die Sachen anzusprechen. Dabei kann ich doch nur verlieren. Warum muss ich, als "Opfer" eigentlich den ersten Schritt machen? Wieso ist es meine Aufgabe die Situation zu klären? Läuft es (wieder einmal) darauf hinaus, dass ich mich Schuldig im Sinne des Getratsches bekenne? Klar bin ich gesprächsbereit, aber nicht so! Muss ich mich freiwillig ans Kreuz nageln lassen, damit die Harmonie wieder hergestellt ist?

Es ist leider so, dass Menschen, die nicht in das 08:15 Schema passen, immer wieder eine ähnliche Situation geraten. Ein Missbrauchsopfer wird auch vom neuen Partner geschlagen. Ein hochsensibler Mensch gerät immer wieder in Situationen, die ihn überfordern, weil er sich nicht abgrenzen kann und die Eindrücke ungefiltert sein Innerstes treffen.


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(Mich hat die Kraft dieses Bildes angesprochen. Nicht, dass ich vorhabe, ins Wasser zu gehen)
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Liebe deinen Bettler wie dich selbst


Ich habe, wie die meisten Menschen, ein Suchtverhalten. Darum bin ich nicht besser oder schlechter als randständige Personen, die im Bahnhof um Geld für die Notschlafstelle betteln. Auch wenn es naheliegt, dass sie dieses Geld zweckentfremden, kann ich auf den ersten Blick nicht beurteilen, ob sie es zur Finanzierung ihrer Sucht verwenden.

In gewissen Städten, wie Bern, ist Betteln auf öffentlichem Boden erlaubt, an und in Bahnhöfen aber verboten. Da ich mich privat und beruflich in diesem Umfeld bewege, werde ich täglich von Menschen angebettelt. Das geht von einem harmlosen: Hast Du mir einen Franken/Euro bis zu einem agressiven Griff nach dem Geldbeutel von mir oder Reisenden.

Eigentlich bin ich (auch beruflich) nicht zum Eingreifen verpflichtet. Dazu gibt es Sicherheitspersonal. Diese sind aber meistens nicht anwesend, weil die Randständigen solche Situationen bewusst vermeiden. Im Bewusstsein, dass ich mir mehrheitlich Ärger einhandle, fühle ich mich oft gedrängt trotzdem etwas zu unternehmen. Mein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, ist dabei nicht hilfreich.

Ich liebe klare Regeln. Sie vermitteln mir (und anderen) Sicherheit. Dabei wird ein friedliches Miteinander angestrebt. Doch was passiert, wenn sich Menschen bewusst darüber hinwegsetzen? Muss ich das einfach akzeptieren oder kann und darf ich mich wehren, wenn ich angebettelt werde? Ist das Betteln ein Menschenrecht? Bin ich als privilegierter weisser Mann moralisch zum Geben verpfichtet?

Fragen darf man immer. Einverstanden, es kommt aber sehr auf den Ton an. Es macht für mich einen Unterschied ob ein bettelnder Mensch am Strassenrand sitzt oder mich anspricht. Wenn mich jemand beim Bezahlen am Billettautomaten stört, um (ungefragt) zu helfen und dann doch zu Schnorren, ist das für mich eine nicht tolerierbare Grenzüberschreitung.

Bettelnde Menschen verunsichern mich. Darum muss ich mich abgrenzen (schützen). Ich bin gerne grosszügig. Aber ich alleine entscheide wann, wo, wie bei wem und wie viel.

Bei meinen ganzen Gedanken, rund um das Thema bin ich auf die Katzentaler gestossen. In der Stadt Bern kann man so den Menschen an Stelle von Geld einen Taler verschenken, den sie bei bestimmten Institutionen einlösen können. "Nei, ig ha Euch ke Schtutz, aber e Taler."


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