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Liebe deinen Bettler wie dich selbst


Ich habe, wie die meisten Menschen, ein Suchtverhalten. Darum bin ich nicht besser oder schlechter als randständige Personen, die im Bahnhof um Geld für die Notschlafstelle betteln. Auch wenn es naheliegt, dass sie dieses Geld zweckentfremden, kann ich auf den ersten Blick nicht beurteilen, ob sie es zur Finanzierung ihrer Sucht verwenden.

In gewissen Städten, wie Bern, ist Betteln auf öffentlichem Boden erlaubt, an und in Bahnhöfen aber verboten. Da ich mich privat und beruflich in diesem Umfeld bewege, werde ich täglich von Menschen angebettelt. Das geht von einem harmlosen: Hast Du mir einen Franken/Euro bis zu einem agressiven Griff nach dem Geldbeutel von mir oder Reisenden.

Eigentlich bin ich (auch beruflich) nicht zum Eingreifen verpflichtet. Dazu gibt es Sicherheitspersonal. Diese sind aber meistens nicht anwesend, weil die Randständigen solche Situationen bewusst vermeiden. Im Bewusstsein, dass ich mir mehrheitlich Ärger einhandle, fühle ich mich oft gedrängt trotzdem etwas zu unternehmen. Mein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, ist dabei nicht hilfreich.

Ich liebe klare Regeln. Sie vermitteln mir (und anderen) Sicherheit. Dabei wird ein friedliches Miteinander angestrebt. Doch was passiert, wenn sich Menschen bewusst darüber hinwegsetzen? Muss ich das einfach akzeptieren oder kann und darf ich mich wehren, wenn ich angebettelt werde? Ist das Betteln ein Menschenrecht? Bin ich als privilegierter weisser Mann moralisch zum Geben verpfichtet?

Fragen darf man immer. Einverstanden, es kommt aber sehr auf den Ton an. Es macht für mich einen Unterschied ob ein bettelnder Mensch am Strassenrand sitzt oder mich anspricht. Wenn mich jemand beim Bezahlen am Billettautomaten stört, um (ungefragt) zu helfen und dann doch zu Schnorren, ist das für mich eine nicht tolerierbare Grenzüberschreitung.

Bettelnde Menschen verunsichern mich. Darum muss ich mich abgrenzen (schützen). Ich bin gerne grosszügig. Aber ich alleine entscheide wann, wo, wie bei wem und wie viel.

Bei meinen ganzen Gedanken, rund um das Thema bin ich auf die Katzentaler gestossen. In der Stadt Bern kann man so den Menschen an Stelle von Geld einen Taler verschenken, den sie bei bestimmten Institutionen einlösen können. "Nei, ig ha Euch ke Schtutz, aber e Taler."


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Ich bin nur noch müde


Wie war es, als du dich zum letzten Mal so richtig müde gefühlt hast? Ich meine nicht die willkommene Bettmüde bevor man schlafen geht. Nein, dann wann die To-do-Liste bis vor die Bürotüre reicht. Du hast einen neuen Job und willst alles richtig machen. Wenn Du unfreiwillig in Konflikte reingeraten bist und angefeindet wirst, weil du nur deine Meinung geäussert hast. Dazu kommt noch das Highlight vom Jahr, das Konzert, an dem du ein Solo spielst, dass du auf keinen Fall verkacken willst. 

Damit ist aber noch lange nicht Schluss. Nach dem Konzert darfst du in einer übervollen Mehrzweckhalle den Leuten Essen servieren. Der Verein zählt auf dich, auch wenn du nur noch Ruhe willst, setzt du dich dem Lärm aus, bis deine Ohren dröhnen.

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Party - Nein Danke!

Welches war deine letzte Party? Wie war der letzte Betriebsausflug? Wie fühlst du dich in einer Gruppe, beim Smalltalk, Essen oder Feiern? 

Gesellschaftliche Anlässe, bei denen ich mich nicht 100prozentig frei entscheiden kann, ob ich teilnehmen will, sind für mich eine Zumutung. Wehe, du lehnst einmal eine Einladung ab. Dann werden Dir tausende Vorwürfe, Interpretationen und Unterstellungen an den Kopf geworfen: "Fühlst du dich als etwas mehr Besseres? Das wäre doch die Gelegenheit uns besser kennen zu lernen, und du weigerst dich? Was stimmt nicht mit dir."

Mit mir ist alles in bester Ordnung! Ich mag mich einfach nicht im Privaten mit Arbeitskolleg*innen abgeben! Ich hasse belanglosen Smalltalk! Warum muss ich mich überhaupt rechtfertigen? Warum kann mein Entscheid nicht einfach akzeptiert werden? Warum zum Teufel muss ich erklären, warum ich mich, als hochempfindsamer Mensch bei einem erzwungenen gesellschaftlichen Treffen, überfordert und deplatziert fühle?

Ich bin im Moment noch Mitglied einer Pesonalkommission. Judihui und Trulala, man beschliesst eine 2tätigige Sitzung im Tessin. Weil es so schön ist, kombiniert man sie mit einem Ausflug, mit Nachtessen, Übernachtung, das volle Programm. Es steht ausser Frage, dass da alle sehr gerne teilnehmen. Man wird nicht einmal gefragt, ob das für alle OK ist. Als ich der Gruppe mitteile, dass ich Übernachtungen auswärts nach Möglichkeit vermeide, wird mir nicht geglaubt. Die Präsidentin will mich sogar zu einer Teilnahme nötigen. 

Nun bin ich gezwungen, vor ihr und ihrem Stellvertreter sozusagen die Hosen herunterzulassen. Es geht die Beiden einen feuchten Staub an, dass ich auswärts immer schlecht schlafe. Es hat sie gar nichts zu kümmern, dass ich keine Parties oder abendliche Essen mag. Beim Wandern verhält es sich ähnlich. Meine Gangart kann man getrost als langsam oder lahmarschig bezeichnen. Das hat durchaus seinen Grund. Den geht aber wiederum niemanden etwas an. 

Ich finde das schon etwas blauäugig und unverständlich, wenn Präsident*innen meinen, mit einem gemeinsamen Ausflug dem Teamgeist einen Turbo Booster zu versetzen. An einem anderen spüre und finde Mich Treffen ging es am Schluss nur darum, dass ich das Problem in der Gruppe bin. Als ich mich vordergründig einsichtig zeigte, konnte man die Erleichterung des Moderators förmlich spüren.

Ist es das unausweichliche Schicksal von hochempfindsamen Personen, dass wir uns ständig erklären und rechtfertigen müssen? Warum werden wir nicht akzeptiert und respektiert wie die "Normalen"?

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Du machst, was ich dir sage!


Wie reagierst du, wenn dir der Disponent kurz vor Feierabend einen zusätzlichen, nicht geplanten Auftrag reindrückt? Du siehst, dass dadurch mit 120-prozentiger Sicherheit Überstunden entstehen werden. Als du deinen Arbeitskollegen, den Disponenten freundlich darauf aufmerksam machst, gibt es schnippisch zur Antwort: Aus meiner Sicht funktioniert das, und wenn nicht, riskiere ich es trotzdem.

Als hochempfindsamer Mensch funktionieren meine inneren und äusseren Grenzen nicht in den normalen Parametern. Ich muss(te) schmerzhaft lernen, Anweisungen an der Arbeit und Befehle wie diesen, richtig einzuordnen und entsprechend zu reagieren. Vor allem, wenn alles dafürspricht, dass der zusätzliche Auftrag nicht rechtzeitig erledigt werden kann, wird es schwierig für mich. Kann ich meine Argumente einbringen und findet eine Diskussion auf Augenhöhe statt, fällt es mir trotzdem leichter, den Entscheid mitzutragen. 

Wenn meine Argumente überhört werden und ich im Befehlston ultimativ aufgefordert werde meine Aufgaben zu erfüllen, schmerzt mich das. Ich fühle mich macht- und chancenlos als Mensch wahrgenommen zu werden. Sach- und Gefühlsebene vermischen sich öfters mal. Offensichtlich bin ich nicht der Einzige. Sonst hätte Schulz von Thun nicht das Kommunikationsquadrat erfunden. Als hochempfindsamer Mensch, erlebe ich solche Situationen einfach viel intensiver.


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Ich bin wirklich schuldig

Was war dein letzter Fehler? Wo und wie ist er passiert? In meinem Arbeitsumfeld ist es besonders schlimm für mich. Ich bin über 50 Jahre alt und darum auf meine Anstellung angewiesen. Am liebsten würde ich überhaupt nicht auffallen, weder positiv noch negativ. Eigentlich möchte ich doch nur ein verlässliches Teammitglied sein. Wie das Leben so spielt, meine Konzentrationsschwäche hat zu Unstimmigkeiten in der Buchhaltung geführt und meinem Arbeitgeber einen grossen Mehraufwand beschert.

Eine Verfehlung ist natürlich Salz in meine Wunden. Um so mehr Staub dabei aufgewirbelt wird, um so tiefer möchte ich mich verstecken, damit mich die Standpauke nicht so hart trifft. Wenn ich weiss, dass ich wirklich allein, zu 100% der Verursacher bin, würde ich am liebsten sterben. Zumindest, bis die Erinnerung an meine Dummheit verblasst.

Durch meinen Lebensweg, den durchlebten Missbrauch und die Hochempfindsamkeit, kann ich mich auch mit meinen 53 Jahren sehr schlecht abgrenzen. Mir fällt es enorm schwer, ein Ereignis einzuordnen, und seine Auswirkungen auf andere und mich abzuschätzen. 

Gibt es eine Standpauke, einen ZS oder wird mir sogar die Kündigung angedroht? Ich rechne buchstäblich mit dem Schlimmsten, und hoffe trotzdem, dass es nicht eintreffen wird. Vor allem, wie kann ich erreichen, dass mir der gleiche Scheiss wirklich nie mehr, auch nicht in 100 Jahren noch ein zweites Mal passiert? 

Relax, komm mal runter, du musst dich neu einmitten. All das sind gute und gutgemeinte Ratschläge. Doch was nützen sie mir, wenn ich wieder einmal ins Bodenlose falle? Wie kann ich meinen Fall abbremsen? Vor 30 Jahren ging es so weit, dass ich mir oft überlegte, mir etwas anzutun. So weit bin ich zum Glück nicht mehr, trotzdem stehe ich teilweise immer noch vor einem Scherbenhaufen, und hab das Gefühl, zurückgeworfen zu sein.

Begründete Fehler von mir vermischen sich mit Interpretationen von Reaktionen und Stimmungen, die ich wahrnehme. Als hochempfindsamer Mensch, liege ich mit vielen dieser Eindrücke richtig - aber auch mit einigen falsch. Wie sieht mein Umfeld mich, was habe ich für ein Bild von mir und wie bin ich wirklich? Welches Bild will vermitteln und welche Maske muss ich tragen, weil meine Art gesellschaftlich nicht akzeptiert wird?

Wann bin ich wirklich schuldig?

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Bloss keine Konflikte



…ich will mit niemandem Stress. Lass uns unsere Arbeit machen und danach wieder nach Hause gehen. Schön, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen können und im gegenseitigen Respekt miteinander umgehen. Vielleicht finden wir sogar ein gemeinsames Thema, über das wir uns beide austauschen können. Das erleichtert die Zusammenarbeit, muss aber nicht sein.

Ich versuche Auseinandersetzungen nach Möglichkeiten zu vermeiden. Manchmal gehe ich ihnen auch bewusst aus dem Weg. Durch meine Hochempfindsamkeit nehme ich Konflikte viel intensiver wahr. Oft habe ich Mühe zu filtern, wie etwas gemeint ist.

Mir kommt die volle Ladung der Gefühle von meinem Gegenüber entgegen. Oft spüre ich es jemand meint, trotz seiner beschönigenden, positiv gefärbten Worte. Am liebsten würde ich mich in einem solchen Moment zurückziehen und alle Eindrücke fein säuberlich sortieren und einordnen und erst danach antworten. Aber das geht meistens nicht.

Darum reagiere ich oft abweisend und teilweise heftig, und dass nur, weil ich mich schützen muss. Wir wollen dir nichts Böses, ist was ich öfters zu hören bekomme. In den meisten Fällen stimmt das auch. Ich bin aber einfach nicht in der Lage zwischen all den unverarbeiteten Eindrücken, den richtigen hervorzuholen.

Weil mein (Arbeits)Umfeld das oft nicht versteht, werde ich zum Gesprächsthema. Den komischen, unliebsamen Arbeitskollegen, mit dem man seine Probleme hat. So gerate ich wieder in Konflikte. Etwas, was ich auf jeden Fall vermeiden will.

Darum arbeite ich an mir, passe mich an, schliesse Kompromisse, bis ich mich dabei komplett aufgebe und selbst verleugne.

Aussprachen und wie weiter…

Kürzlich hat ein Arbeitskollege behauptet, ich habe ihm hinter meinem Rücken den Stinkefinger gezeigt. Da ich an der Arbeit arbeiten und keine Konflikte lösen will, vermeide ich so etwas natürlich. Er hat den Dienstweg vorgezogen, anstatt mich direkt anzusprechen. Einige Wochen später wurde ich von meinem Teamleiter, der vom Vorgesetzten des Kollegen ein Mail erhalten hat, darauf angesprochen.

Leider haben die wenigsten Menschen, mich eingeschlossen, keinen Mumm, Konflikte direkt anzusprechen. Obschon wir alle von uns die Meinung haben, nicht zu beissen und durchaus gesprächsbereit zu sein.

Der Kollege grüsste mich nicht mehr und ging mir aus dem Weg. Bis ich vor dem Verlassen des Büros, mich vom Disponenten verabschiedete, und ihn explizit wiederholt grüsste, weil er geschwiegen hatte. So ist es quasi zu einer Aussprache gekommen. Im Gegensatz zu anderen Situationen, habe ich sie praktisch erzwungen. Denn ich hatte keine Angst, weil ich weiss, dass seine Anschuldigungen unbegründet sind.

Kompromisse fühlen sich oft Scheisse an…

Er bedrohte mich. „Meine Aussage, dass ich ihm den Stinkefinger nicht gezeigt habe, akzeptiere er nicht. Er fordere eine Entschuldigung, sonst gehe er ein Schritt weiter. Soll er doch dachte ich mir, ich bin im Recht und er kann mir nichts beweisen, dass meiner Meinung gar nie stattgefunden hat.

Ich weiss nicht, ob es trotzdem Angst war, oder das Gefühl kräftemässig die Eskalation dieses Konfliktes nicht zu bewältigen. Darum suchte ich nach einer Kompromisslösung, bei der er das Gesicht wahren konnte und ich nichts entschuldigen musste, was ich nicht gemacht habe. So sah sie aus:

Als Kompromiss, teilte ich ihm mit, dass er eventuell eine Handbewegung von mir so interpretiert haben könnte. Wenn, dann sei das höchstens unbewusst und ohne jede Absicht so rübergekommen. Ich gestikuliere öfters und kann mich nicht an jede Bewegung erinnern.

Warum fühlt sich diese Kompromisslösung so an, als hätte ich verloren? Ich habe das unterschwellige Gefühl besiegt worden und klein beigegeben zu haben.

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